Seit Beginn der Covid-Pandemie im Jahr 2020 wurden viele Versorgungsstrukturen für Menschen mit Parkinson digital angepasst. Um insbesondere die ambulante Versorgung aufrechtzuerhalten, haben Kliniken und Praxen innovative Ansätze verfolgt und neue Wege beschritten. „Der hohe Innovationsdruck zur Entwicklung neuer Versorgungsmethoden bleibt bestehen und könnte in Zukunft deutliche Vorteile bringen. Jedoch ist der Zugang zu digitalen Angeboten nicht für alle Betroffenen gewährleistet“, sagte Prof. Dr. Lars Tönges, Leiter der Sektion Neurodegenerative Erkrankungen an der Neurologischen Klinik der Ruhr-Universität Bochum, auf dem Deutschen Kongress für Parkinson und Bewegungsstörungen 2022. Als Co-Sprecher der Arbeitsgruppe „Netzwerke und Versorgung“ und Mitglied der Arbeitsgruppe „Telehealth-Services und Gesundheitstechnologien“ in der Deutschen Gesellschaft für Parkinson und Bewegungsstörungen (DPG) plädiert Prof. Tönges dafür, Behandlungspläne mit digitalen Elementen stets individuell auszuloten.

Die Covid-Pandemie stellte die medizinische Versorgung in vielen Bereichen vor große Herausforderungen. Da Menschen mit Parkinson per se und insbesondere diejenigen mit Bluthochdruck, chronischen Nierenerkrankungen sowie höherem Alter zur Risikogruppe für schwere Verläufe und erhöhte Mortalität nach Covid-19-Infektion zählen, wurde im Jahr 2020 ein dramatischer Rückgang der stationären Behandlungen verzeichnet. „Viele Patientinnen und Patienten mit Parkinson waren zu Beginn der Pandemie am sichersten in den eigenen vier Wänden aufgehoben. Auf dem Höhepunkt der Welle sank die Fallzahl der Krankenhausbehandlungen sogar um 70 Prozent, um die Risiken einer Sars-CoV-2-Infektion im Krankenhaus zu minimieren und Intensivkapazitäten sicherzustellen“, erläuterte Tönges. [1]

Fachärztliche Beratung in der virtuellen Sprechstunde

Die Versorgung von Menschen mit Parkinson ist komplex. Sie umfasst nicht nur die medikamentöse Therapie, sondern auch Begleittherapien wie beispielsweise Ergotherapie, Physiotherapie und Logopädie. Um die bestmögliche individuelle und ganzheitliche Behandlung sicherzustellen und die Progression der Erkrankung zu verlangsamen, ist ein aus mehreren Bausteinen bestehender Therapieplan notwendig, der oft engmaschige Kontrollen erfordert. Für ein routinemäßiges Monitoring zur Kontrolle, Beratung oder für Bewegungs-, Stimm-, Sprech- und Sprachtherapien haben sich in der Pandemie Videosprechstunden etabliert. „Mit dem schnellen Ausbau des Angebots an Videosprechstunden konnten Parkinson-Patienten und -Patientinnen auch in der häuslichen Isolation oder gar Quarantäne eine fachärztliche Beratung und Begleitung erhalten“, berichtete Tönges. Allerdings kann die Verfügbarkeit von digitalen Angeboten in Deutschland regional stark variieren, gab der Experte zu bedenken.

Fernzugriff auf Hirnimplantate per App

Auch für die Anwendung von Wearables und Apps hat die Pandemie Fortschritte gebracht. Parkinson-Betroffene können zum Beispiel durch Sensoren erhobene Bewegungsprofile über das Internet mit den behandelnden ÄrztInnen teilen und diese dann in der Videosprechstunde oder telefonisch besprechen. Eine weitere vielversprechende neue Technik, deren Entwicklung durch die Covid-Pandemie beschleunigt wurde, ist die Überwachung von Schrittmachern zur Tiefen Hirnstimulation (THS) für die Behandlung von Menschen mit Bewegungsstörungen. Unabhängig von ihrem Standort können ÄrztInnen über eine App mit den Betroffenen kommunizieren und Einstellungen des Implantats in Echtzeit ändern. „Die neue Technik ermöglicht Menschen mit THS-Implantaten, die zur Einstellung der Neuromodulation bisher immer wieder eine zum Teil entfernt gelegene Klinik aufsuchen mussten, mehr Selbstständigkeit und Unabhängigkeit“, so die Einschätzung von Prof. Tönges.

Digitale Technologien in der Akutversorgung nur begrenzt nutzbar

Bei bestimmten Aspekten der Akutversorgung stoßen digitale Technologien allerdings an ihre Grenzen, zum Beispiel bei Infekten, akinetischen Krisen, psychiatrischen Beschwerden sowie bei erforderlichen Dosisanpassungen von Medikamentenpumpen. Hinzu kommt, dass Parkinson-Betroffene mit fortgeschrittenem Krankheitsbild zur Teilnahme an video- und internetbasierten Angeboten oft Hilfe benötigen, die nicht immer durch Familienangehörige oder Pflegepersonal gewährleistet ist. Somit sind bei Weitem nicht alle in der Lage, digitale Versorgungsangebote zu nutzen. „In dieser Kohorte fielen phasenweise Routinesprechstunden oder Begleittherapien weg, was eine schnellere Progredienz der Erkrankung und Zunahme der Immobilisierung begünstigt hat“, erläuterte Prof. Tönges.

Persönliche Kontakte können durch keine Technologie ersetzt werden

Die Möglichkeiten der Versorgung von Menschen mit Parkinson sind vielfältiger geworden. Allerdings ist die Implementierung der Maßnahmen in Deutschland regional unterschiedlich weit fortgeschritten. Zudem seien in Bezug auf digitale Versorgungsmethoden zum Teil noch regulatorische Barrieren, aber auch hinsichtlich der Vergütung einige Hürden zu überwinden. Bestimmte Datenschutzaspekte zur Implementierung der elektronischen Patientenakte oder zur Ausstellung von e-Rezepten seien auch noch nicht abschließend geklärt, weshalb diese noch nicht flächendeckend in der Praxis angewendet werden können, gab Prof. Tönges zu bedenken. Sein Fazit: „Durch die Covid-Pandemie bleibt der hohe Innovationsdruck bestehen und erzwingt Neuentwicklungen, die in Zukunft deutliche Vorteile schaffen können. Die große Bedeutung des persönlichen Kontakts von Menschen mit Parkinson zu FachärztInnen, Therapierenden, Pflegenden und Angehörigen ist aber auch in Zukunft durch keine Technologie zu ersetzen.“

Referenz:

1 Scherbaum R, Kwon EH, Richter D, Bartig D, Gold R, Krogias C, and Tönges L. (2021), Clinical Profiles and Mortality of COVID-19 Inpatients with Parkinson’s Disease in Germany. Mov Disord, 36: 1049-1057. https://doi.org/10.1002/mds.28586

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