Aufgrund der hohen phänotypischen Variabilität der Parkinson-Erkrankung gewinnen molekulare und strukturelle Erkenntnisse über die zugrunde liegenden Krankheitsmechanismen immer mehr an Bedeutung. „Während frühere Krankheitskonzepte von einem eher einheitlichen klinischen Verlauf ausgingen, zeigen neuere Kohortendaten, dass klinische Phänotypen und Krankheitsverläufe bei Menschen mit idiopathischen und atypischen Parkinson-Syndromen auch innerhalb der verschiedenen Krankheitsentitäten tatsächlich stark variieren“, sagte Prof. Günter Höglinger, Kongresspräsident und Vorstandsmitglied der Deutschen Gesellschaft für Parkinson und Bewegungsstörungen (DPG) aus Hannover, auf dem Deutschen Kongress für Parkinson und Bewegungsstörungen 2022. Genotypisierungen und entsprechende Analysen der Genexpressionsprofile liefern wichtige Hinweise auf den zu erwartenden Krankheitsverlauf und auf neue, zielgerichtete Therapieansätze.

Parkinson-Demenz und -Progression: neue Risiko-Genloki aufgedeckt

Etwa 30 bis 40 Prozent der Parkinson-Betroffenen entwickeln im Lauf der Zeit eine Parkinson-Demenz. Sie zählt zu den schwerwiegendsten Manifestationen mit dem größten Einfluss auf die Lebensqualität. Bisher sind keine therapeutischen Ansätze verfügbar, die die zugrunde liegende Neuropathologie verlangsamen, die vom Hirnstamm zum Cortex fortschreitet und klinisch mit der Progression von motorischen und anderen kognitiven Symptomen korreliert. „Die Anwendung moderner molekulargenetischer Ansätze hat in den letzten zehn Jahren verschiedene Risiko-Genloki identifiziert. Hierzu zählen RIMS2, TMEM108, WWOX, APOE und GBA, die im Zusammenhang mit der Anfälligkeit für Parkinson-Demenz und -Progression stehen“, erklärte Höglinger. [1] Indikatoren für eine schnellere Progression der Parkinson-Erkrankung sind beispielsweise auch höhere ADL-Scores (Activities of Daily Living, Verfahren zur Messung der Alltagskompetenz) und Symptome wie Freezing (plötzlich eintretendes, unvorhersehbares „Einfrieren“ von Bewegungen) und Steifheit bei Diagnosestellung, ergänzte der Experte. [2]

Genetische Vielfalt: GBA-Varianten an der Pathologie beteiligt

GBA-Varianten stehen zudem in Zusammenhang mit der Entstehung von behandlungsbedingten Komplikationen (z. B. „Wearing-off“-Effekte, Dyskinesien), Schlafanomalien wie Tagesschläfrigkeit und veränderten REM-Schlafmustern sowie motorischen Defiziten. Varianten des LRRK2-Gens begünstigen neben GBA ebenfalls das Fortschreiten von motorischen Symptomen. „Die Vielfalt der veränderten Genloki spielgelt auch die Vielfalt der Parkinson-Krankheit wider. Sie können in verschiedenen Kombinationen und Mutationen unterschiedliche Phänotypen mit unterschiedlichen Progressionsraten hervorbringen“, so die Einschätzung von Höglinger. [3]

Phänotypische Variation durch Ablagerung fehlgefalteter Proteine

Im Bereich der neurodegenerativen, kognitiven Veränderungen bei Morbus Parkinson rücken zunehmend Fehlfaltungen von Proteinen bei Tauopathien und Synucleinopathien in den Fokus der Forschung. Tauopathien gehen mit abnormen Filamentstrukturen des Tau-Proteins einher, die sich in Neuronen und Gliazellen ablagern. Die Ablagerungen führen zu einer fortschreitenden Funktionsstörung und zu Hirnatrophie. Treibermutationen beeinflussen Genexpressionsmuster und somit die Struktur von Proteinen. So ist beispielsweise die Entstehung der kortikobasalen Degeneration (CBD) – eine langsam-progrediente, neurodegenerative Erkrankung, die zu den atypischen Parkinson-Syndromen zählt – unter anderem mit Mutationen im Tau-Gen auf Chromosom 17 (MAPT-H1c-Haplotyp) assoziiert. Leitsymptome der CBD sind eine asymmetrisch auftretende Hypokinesie und Rigidität mit schlechtem Ansprechen auf L-Dopa sowie eine einseitige Apraxie der Extremitäten. „Mittlerweile werden Tauopathien je nach veränderter Filamentstruktur unterschiedlich klassifiziert, was zur gesicherten klinischen Diagnose und Identifizierung neuer Entitäten nützlich ist“, erläuterte der Experte. [4] Ähnlich wie Tau-Filamente können sich auch die Strukturen von α-Synuclein-Filamenten bei neurodegenerativen Erkrankungen wie Morbus Parkinson unterscheiden. Die Synucleinopathie ist gekennzeichnet durch intrazelluläre Ablagerungen fehlgefalteter α-Synuclein-Filamente in Nerven- und Gliazellen. „Da die pathologischen Strukturen und Subtypen von α-Synuclein-Filamenten bei Morbus Parkinson noch nicht so detailliert aufgeklärt wurden, wird hierzu derzeit rege geforscht“, schilderte Höglinger. Die Konnektom-Forschung wird die Erkenntnisse zu den Protein-Fehlfaltungen von Tauopathien und Synucleinopathien aufgreifen und dahingehend untersuchen, inwieweit Nervenzellverbindungen die Ausbreitung von pathologischen Protein-Aggregaten kanalisieren. [5]

„Die neuen Erkenntnisse zu den genetischen und molekularen Krankheitsmechanismen und Ursachen heterogener Verläufe neurodegenerativer Krankheiten werden dazu beitragen, individuelle Therapieansätze ausfindig zu machen, die für ganz bestimmte Erkrankungssubtypen infrage kommen. Dieser Trend wird der personalisierten Diagnose und Therapie bei Morbus Parkinson neue Möglichkeiten eröffnen“, schlussfolgerte Höglinger.

Referenzen:

1 Liu G, Peng J, Liao Z, et al. Nat Genet. 2021;53(6):787-793.
https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/33958783/
2 Bartl M, Dakna M, Schade S, et al. J Parkinsons Dis. 2022;12(1):437-452.
https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/34719511/
3 Iwaki H, Blauwendraat C, Leonard HL, et al. Neurol Genet. 2019,15;5(4):e354.
https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/31404238/
4 Shi Y, Zhang W, Yang Y, et al. Nature. 2021;598(7880):359-363.
https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/34588692/
5 Schweighauser M, Shi Y, Tarutani A, et al. Nature. 2020;585(7825):464-469.
https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/32461689/

Informationen für die Medien

Mehr zum Thema „Variabilität in Phänotyp und Progression bei Parkinson-Syndromen: Neurobiologische Ursachen und therapeutische Optionen“ erfahren Sie am Donnerstag, 24.3., von 10:30–12:00 Uhr im Präsidentensymposium unter Leitung von Prof. Höglinger (Hannover), Kongresspräsident, und Prof. Alexander Storch (Rostock), erster Vorsitzender der DPG. https://www.dpg-akbont-kongress-2021.de/programm/plenarsitzungen.html

Online-Pressekonferenz der DPG am Mittwoch, 23. März, von 10–11 Uhr
Informationen zu Programm und ReferentInnen und Akkreditierung unter https://parkinson-gesellschaft.de/die-dpg/presseservice. Gerne nehmen wir Sie auch in unseren Presseverteiler auf. Über die Kongresswebsite www.dpg-akbont-kongress-2021.de können Sie sich zusätzlich kostenlos für den virtuellen Kongress registrieren. Gerne vermitteln wir Interviews und stellen druckfähiges Bildmaterial zur Verfügung. Wir freuen uns über einen Hinweis auf Ihre Veröffentlichung oder Zusendung eines Belegs.

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Fachliche Kongressleitung und Kongressorganisation

Prof. Dr. med. Günter Höglinger, Kongresspräsident für die DPG
Prof. Dr. med. Frank Erbguth, Kongresspräsident für den AK Botulinumtoxin
PD Dr. med. Christoph Schrader, Kongresssekretär für die DPG
Prof. Dr. med. Katja Kollewe, Kongresssekretärin für den AK Botulinumtoxin

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Die Deutsche Gesellschaft für Parkinson und Bewegungsstörungen (DPG) fördert die Erforschung der Parkinson-Krankheit und verbessert die Versorgung der Patientinnen und Patienten. Organisiert sind in der wissenschaftlich-medizinischen Fachgesellschaft Parkinson-Ärztinnen und Ärzte, Grundlagenforscher:innen und andere Berufsgruppen mit einschlägiger qualifizierter Ausbildung. Die Zusammenarbeit ist entscheidend für die Fortschritte in Diagnostik und Therapie. Die DPG finanziert ihre Arbeit ausschließlich über Spenden. Sie kooperiert eng mit der von ihr im Jahr 2019 gegründeten Parkinson Stiftung. Jeder finanzielle Beitrag bringt die Erforschung der Parkinson-Krankheit weiter voran. www.parkinson-gesellschaft.de

1. Vorsitzender: Prof. Dr. med. Joseph Claßen, Leipzig
2. Vorsitzender: Prof. Dr. med. Alexander Storch, Rostock
3. Vorsitzende: Prof. Dr. Kathrin Brockmann, Tübingen
Schriftführer: Prof. Dr. med. Carsten Eggers, Duisburg-Essen
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